Mittwoch, 17. Juni 2015

Erinnerungsbruchstücke

Gerade saßen wir noch zusammen und aßen Abendbrot und ich erzählte von klein Nici.

Ich heiße Nicole, als Kind nannte mich jeder Nici, also kam es so nach und nach, dass klein Nici das Pseudonym für meine Kindheit wurde.

Klein Nici hat sich ständig barfuß irgendwelche Schnitte zugezogen. Einmal weigerte sich klein Nici das der Bademeister Jod auf eine tiefe Schnittwunde gießen durfte, der dann die riesen Notfallrettungsaxt von der Wand nahm und beteuerte, er würde damit meinen Fuß abhacken, wenn da kein Jod drauf kommt.

Mir wurde das erste mal bewußt, dass klein Nici starb, als meine Mutter ihre erste Krebsdiagnose bekam und sagte das  auch gerade am Essenstisch, als das Telefon klingelte.

Ein sehr passender Moment, als würde irgendwo ein Regisseur sitzen der schon länger genau auf diesen Augenblick wartete.

Es gibt Tage, wo man schon ewig vorher weiß das sie kommen, sogar in etwa wann sie kommen und wenn sie dann kommen, ist es trotzdem schrecklich und so ein Tag ist das nun geworden.

Meine Mutter starb, ich war mit 12 Jahren die Jüngste und es gab zig Entscheidungen zu fällen, Entscheidungen die lang in die Zukunft reichen.

Wie soll man denn entscheiden, wie lange man das Grab mieten soll?

Wir saßen alle zusammen und diskutierten. 20 Jahre? Was? So kurz?
Ehrlich, es kam mir vor, als hätte man gesagt, eine Woche!

20 Jahre, dabei wollte ich das das Grab ewig bestehen bleibt, aber meine Geschwister und mein Vater meinten nur: "Wer soll sich denn so lange darum kümmern?"

Ja ich natürlich!!!

Jaja, wer weiß wo Du in 20 Jahren lebst...

Na hier natürlich!!! Ich werde nie wegziehen! Ihr könnt von mir aus alle abhauen, ich bleibe hier!!!

Das sagte ich nicht nur, das meinte ich auch so, zu 100% und ich war mir sicher, ich hätte alles darauf geschworen.

Die einzige Person die weg zog war.... ich selber, etwa 6 Jahre später und ich meine nicht ein paar Kilometer weg, sondern halb Deutschland weit weg.


Ein Grab ist scheinbar für viele Menschen sehr wichtig. Sie gehen hin, kümmern sich um die Blumen und den Grabstein so, als würden sie sich um die verstorbene Person kümmern, wahrscheinlich sogar noch besser als zu der Zeit, als die Person noch lebte, aber nach und nach habe ich gelernt den Tod, eine Leiche und dergleichen mit anderen Augen zu sehen.

Wenn jemand stirbt, dann ist er nicht länger in dem Körper. Jeder der eine bekannte verstorbene Person sieht, meint das der Leichnam leer aussieht, irgendwie nicht mehr, wie die lebende Person.

Wenn ich am Grab meiner Mutter stand, dann dachte ich eigentlich nicht so sehr an sie, als viel mehr an die Beerdigung, oder die traurige Zeit davor und danach, jedenfalls nichts schönes und nichts gutes, auch nicht, wenn ich ernsthaft versuchte mir auszumalen die die Gebeine meiner Mutter da unter der Erde liegen klappte das.

Die Beerdigung war schön, sagten alle,  ich weiß es nicht, denn es war meine erste. Ich erinnere mich an den Streß davor. Wie man zusammen sitzt und unendlich viele Entscheidungen treffen soll, die alle ewig in die Zukunft reichen sollten.

Oh wie soll der Sarg aussehen, was soll man meiner Mutter anziehen, auch wenn man den Sarg verschlossen halten wird, weil sie leider unansehnlich wurde. Was für Blumen wählt man, welche Schrift soll das Holzkreuz bekommen, das auf dem Grab steht, bis es sich gesenkt hat und wie soll man das alles finanzieren?

Da wird die wichtigste Person einer ganzen Familie aus dem Leben gerissen und man muss sich um diese Dinge Gedanken machen, dabei sollte man einfach in Ruhe trauern können und dürfen.

Ich fand das schon damals wirklich schrecklich!

Mir war es auch eigentlich egal, das einzige Thema das mich interessierte war der Grabstein. Der war mir wichtig, da wollte und durfte ich mit reden und mit entscheiden.

Wir drei Kinder sahen ihn und wußten das ist der Stein, der meine Mutter symbolisiert. Ein rosa Marmor, wunderschön und je nach Lichteinwirkung und Wetterlage sah er anders aus, mal traurig grau, mal strahlend weiß, mal herzlich rosa.  Er war nicht eckig, sondern alles war abgerundet und auf der Oberseite war eine kleine Kuhle, dort sollten zwei Spatzen sitzen, denn wenn es Regnet, würde sich dort Wasser sammeln und es solle aussehen, als würden sie daraus trinken.

Wissen Sie wie teuer ein rosaner Marmor ist?

Ich weiß es nicht, ich sah nur die Sorgenfalten meines Vaters, dem es das Herz zerbrach, als er erklären musste, das es finanziell einfach nicht drin sei, aber wir protestierten, rebellierten und bekamen unseren Stein.

Aus heutiger Sicht tut es mir für meinen Vater leid, es war wirklich hart so viel Geld aufzutreiben, aber dennoch bin ich dafür bis heute dankbar. Gerne hätte er am Sarg oder dergleichen sparen können, einzig der Grabstein war mir wichtig, denn den starrt man die nächsten Jahrzehnte an.

Immer wenn ich zum Grab ging, dachte ich an die Zeit vor und nach der Beerdigung, an die Beerdigung selber, den Tod, die schlimme Phase einfach und ich wollte eigentlich bos wieder weg.

Ich fand es schade als ich weg zog, aber hatte damals schon gemerkt, die schönen Erinnerungen habe ich im Alltag und nicht auf dem Friedhof, der zieht mich nur runter.

Heute halte ich nicht mehr viel von Gräbern, denn es ist ein Platz wo man leere Körper verbuddelt, aber nichts schönes.

Nehmen wir mal Tabitha meine Hündin, sie ist ein herrliches Beispiel für das was ich meine.

Wir ließen damals ihren leblosen Körper bei der Tierärztin und ich fand das Einschläfern schrecklich, aber es fiel mir nicht schwer, den leeren Körper dort zu lassen, statt dessen haben wir Erinnerungsstücke, Lieblingsstücke, Leckerlie, Briefe an sie und dergleichen in eine Kiste gepackt und sie an der Stelle vergraben, wo wir oft mit ihr spazieren waren, verweilten und Spaß hatten.

Heute denke ich nicht daran wie sie auf dem Tisch tod beim Tierarzt lag, sondern wo ihre Erinnerungskiste ist, wie schön die Zeit mit ihr zusammen dort war und auch heute noch kommen wir öfter an der Stelle vorbei und freuen uns und sind dankbar für die Zeit, die wir mit ihr hatten, aber bei einem Friedhof, muss ich nur an die bescheuerten Entscheidungen denken, an das viele Geld das beschafft werden musste, an die vielen weinenden Menschen und dergleichen und lebendig wird meine Mutter, bei Gesprächen mit meinen Kindern oder in anderen Augenblicken, in denen ich an sie denke, die mal schön, mal lustig und auch mal traurig sind. Das gibt mir viel mehr.

Als meine Schwester dann heute anrief und sagte das im Februar 2016 das Grab eingeebnet wird, war es keine Überraschung, wir hatten es immerhin 20 Jahre gemietet, dann sind 22 Jahre um und ich wußte das der Tag kommen wird und obwohl ich das Grab nicht mag, den Grabstein jedoch sehr, war es ein riesen schlag ins Herz, mitten rein.

Ich bat darum, einen Teil des Grabsteines zu bekommen, bevor er im Müll landet, ich möchte ein Herz daraus schleifen lassen, das ich an einer Kette immer um den Hals tragen möchte. Ich bat darum etwas mehr vom Stein zu bekommen, so dass ich die Kette notfalls mal verlieren kann und Ersatz habe. Ich möchte genug haben, um mit einem Herz aus rosanem Marmor um den Hals selber beerdigt zu werden.

Der Grabstein steht für vieles, für den Zusammenhalt zwischen uns Kindern, weil wir gemeinsam dafür kämpften und sehr wenig gemeinsam taten und weil er so ist, wie unsere Mutter war und weil er das einzige ist, was bleibt.