Donnerstag, 18. Mai 2023

Vatertag ist nicht immer für alle schön

 Vorab, alles gute zum Vatertag, vollkommen egal, ob Deine Kinder leibliche sind, Haut oder Fell tragen, plüschig sind, pixelig, oder in welcher Form auch immer. Jeder Mensch der sich für etwas verantwortlich fühlt, sich um etwas kümmert, dem gehört an dieser Stelle ein dickes 


DANKESCHÖN gesagt!


So, genug der Formalitäten. Mach es Dir bitte bequem, ich denke der Eintrag heute wird ein wenig länger.




Als ich 12 war und meine Mutter verstarb, da fragte unser Vater uns Kinder, wie lange das Grab gemietet werden solle. Ich weiß nicht mehr genau was die Anzahl der Jahre war. 10 Jahre? 20 Jahre, oder man konnte es kaufen.

Ich wollte es kaufen! Es konnte doch nicht sein, dass irgendwann das Grab meiner Mutter verschwunden sein sollte.

Mein Vater, recht nüchtern und nicht so naiv wie eine 12 Jährige, versuchte mir zu erklären, dass wir irgendwann mal wegziehen werden, uns nicht mehr kümmern möchten und wir uns doch nach, zum Beispiel 20 Jahren nochmal entscheiden können. Es wird ja angekündigt und dann kann man ja noch immer sagen, dass man es kaufen möchte.

Ich weiß noch genau wie fest und sicher ich mir in meinem Kopf war, dass ich niemals, wirklich niiiieeemals!!!!! wegziehen werde. Nie! Unmöglich! 

Also malte ich mir so die Zukunft aus. Mein Bruder, der ja, doch ganz sicher! Der ist so einer, der zieht weg. Meine Schwester? Weiß ich nicht, vielleicht, kann sein. Vielleicht nicht so weit, aber ja, ist eine gute Möglichkeit. Ich? Nein! Niemals.

Etwa sechs Jahre später lebte ich in einem anderen Bundesland.

Anfangs wollte sich jeder um das Grab kümmern, ich hielt mich raus. Mein Vater schimpfte mal, weil Blumen, die noch gut waren, weg waren, oder dergleichen, jedenfalls gab es regelmäßig ärger und da ich ohnehin keine Ahnung von Pflanzen hatte, entzog ich mich dem Ganzen einfach.

Anfangs ging ich noch öfter hin und versuchte mir vorzustellen wie meine Mutter da nun liegt und langsam zersetzt wird.

Mein Vater, nicht nur in der Frage nüchtern wie lange eine Grab bestehen sollte, sondern allgemein in allen Lebenslagen, hatte uns auch erklärt, wie so ein Leichnam von Würmern zerfressen wird. Was zuerst passiert, wie die Knochen und Zähne übrig bleiben usw.

Kinderohren, darauf nahm er allgemein wenig Rücksicht. Heute als Mama sehe ich das gespalten. Meine Kinder habe ich schonender behandelt, andererseits habe ich wirklich viel gewusst und merke auch heute noch, dass ich von so manchem Ahnung habe, eben weil mein Vater viel mit uns teilte, wozu er später keine Zeit mehr gehabt hätte, weil wir uns trennten.

Ich stand also dort und fragte mich immer, was man denn an so einem Grab macht.

Man steht, soll mit den Toten reden. Ich redete jedoch immer mit meiner Mutter, wenn ich das Bedürfnis im Alltag hatte und an ihrem Grab fiel mir nichts ein, außer dass ich gruselig fand, wie da nun ihre Leiche liegt und langsam von Würmern zerfressen wird.

Auch hatte mein Vater erklärt, dass der Grabstein erst drauf kann, wenn das Grab sich gesetzt hat.

Gesetzt hat? Auch hier eine schonungslose Antwort. Ja, wenn der Sarg eingebrochen ist, wenn man dadurch und durch die Vorgänge darin und in der Erde selber, eben die Erde abgesackt ist und nachgeschüttet werden kann. Wenn dieser Prozess fertig ist. Dann gab er mir noch die Info über eine Wasserader, die unter de Grab, vielleicht auch nur knapp daneben verläuft. Die das Ganze eben beschleunigen kann und die Erdart. Wenn es sich eher um Tonerde handelt, dann dauert es so und so lange, wenn es eher solche Erde ist, dann so und so lange, weil dann wird es eher konserviert.

Also stand ich dort und hatte eher diese Bilder im Kopf und fragte mich, wie weit meine Mutter zersetzt ist, als dass ich "Abschied nehmen" konnte.

Das andere Problem mit dem "Abschied nehmen" war für mich, dass ihre Beerdigung selber für mich eine Horror Veranstaltung war.

Gefühlt kannte jeder jeden und somit wußte jeder, wer meine Mutter. Da war also diese arme Frau an Krebs gestorben und hinterließ drei Kinder und ihren Mann. Die Beerdigung stand, wie es damals üblich war, in der Zeitung und dementsprechend voll war es.

Wenn man 12 ist, wenn die eigene Mutter stirbt, ist das sehr traumatisierend, aber wenn man dann bei der Beerdigung am Grab steht und gefühlt über 100 Leuten und mehr, die Hand schütteln muss und alle ihr Beileid ausdrücken, einen in den Arm nehmen wollen und dieses Leid in den Augen tragen, das sagt: "Och dieses arme kleine Mädchen!", dann macht es das nur noch schlimmer. Man fühlt es ja schon von alleine, es in ihren Augen zu sehen, hat es nur verstärkt und als Kind dachte ich nur: "Du hast doch keine Ahnung wie schlimm es wirklich ist! DU HAST DOCH KEINE AHNUNG!!!" aber statt dessen stehst Du da stumm und reißt Dich zusammen und musst freundlich tun.

Danach die Trauerfreier, lauter Verwandte da, die Du vorher nie gesehen hast, hinterher nie mehr sehen wirst und die Dir erzählen, sie werden immer für Dich da sein, Du kannst Dich immer melden! Heute ist es realistischer, heute tauscht man die Handynummer aus und schreibt eine WhatsApp Nachricht, aber damals? Nie wieder was gehört...

Also stand ich regelmäßig am Grab und konnte damit nichts anfangen. Schlechte Erinnerungen an die Beerdigung. Schlimme Bilder von dem, was gerade im Grab passiert.

Der Friedhof meiner Heimatstadt ist so gelegen, dass man darüber geht, wenn man an einen bestimmten Stadtteil möchte, also kam ich da ohnehin öfter mal vorbei. 

Der Grabstein meiner Mutter war sehr teuer. Rosa Marmor aus Portugal. Wir waren bei zig Händlern und kein Grabstein gefiel uns, bis wir ihn sahen. Quasi Einstimmig sagten wir, der ist es! Rosa, weiß, leichte graue Streifen, je nacht Lichteinfall eher rosa, eher weiß, immer strahlend! Er war ein Stimmungsstein! Man konnte nie wissen wie er gerade aussah, weil er die Farbe änderte, je nach Wetter, je nach Licht. Von Grau, bis strahlend weiß, über rosa eben. Toller Stein!

Damals, ein Vermögen wert. 

Er war kaum behandelt. Glatt gemacht, ja. Abgerundet. Wunderschön. Er passte zu meiner Mutter. Sie hätte ihn ebenso geliebt. 

Der Sarg war uns egal, was sie trug, ich weiß es nicht mehr, war uns egal. Der Stein war uns wichtig. 

Ich ging zwar oft dran vorbei, man sah ihn immer von weitem strahlen, aber ich ging nicht wirklich hin, weil ich bemerkte, dass es mir nichts bringt.

Dann hatte ich einen Freund der mich schlug, der mich abstechen wollte. Der mir sagte, wenn er mich in die Finger bekommt, bringt er mich um.

Das war der Grund, warum ich nicht mehr an meiner Heimatstadt hin und weil meine Schwester toxisch wurde. Ich durfte nichts mehr alleine machen, keine Minute alleine sein. Das war schon früh so. Sie hatte einen schweren Unfall, da war ich ganz klein. Ab dann hieß es: "Nici, hilf Deiner großen Schwester." und ich half ihr und sie nahm es wörtlich und nahm mich als eine Art Leibeigene an. Erwartete, dass ich immer Zeit hatte, immer verfügbar war und immer alles mitmachte. 

Durch Zufall lernte ich wen im Internet kennen. Ja, das war 1999! Im Internet! Sensation damals! Und zog nach NRW.

Meine Schwester bekam Depressionen, woran ich natürlich schuld war, weil ich weggezogen war.

Ich konnte ohne Angst umgebracht zu werden leben und hatte einen tollen Mann mit Familie kennengelernt.

Ich war die, die weggezogen war und sich nicht ums Grab gekümmert hatte. Unfassbar!

Meine Geschwister waren die, die nie weggezogen waren. Meine Schwester blieb direkt dort, sie lebte nur wenige Meter vom Friedhof weg und mein Bruder lebt nich sehr weit weg. 



Anfangs ging ich zum Geburtstag und Todestag meiner Mutter in den Kölner Dom, weil sie gläubig war und ich mir dachte, es würde ihr gefallen, wenn ich dort eine Kerze für sie anzünden würde, auch wenn sie evangelisch war. Viele Jahre machte ich das. 

Irgendwann kam ich auf die Idee, da nach 20 Jahren das Grab ohnehin aufgelöst werden würde und ich wußte, dass keiner es behalten wollen würde, würde der wundervolle Grabstein auf dem Müll landen, oder wo Grabsteine eben landen, egal wie teuer er war, also bat ich meine Schwester, weil sie verrückt genug war, mir ein Stück davon rauszuhauen! Irgendwo unten, wo man es nicht so sieht, vielleicht hinten, wo man die unbenutzten Blumenvasen und Gießkannen hinstellt, wo man es eben verbergen kann.

Marmor ist hart, sie bekam es nicht hin und weihte meinen Vater ein, der sich erstaunlich freudig ans Werk machte und per Post erreichte mich dann zwei Stücke vom Grabstein. Leider sehen die weiß (mein Vater sagte mir küzlich, ich solle ihn mal nass machen!) aus und recht langweilig, ungeschliffen und kantig, aber ich weiß ja was es ist, auch wenn es sonst keiner erkennt!

Also habe ich sie immer in meiner Buddha-Ecke integriert und immer in Sichtweite und auf zahlreichen Fotos und nur wenige Menschen wußten bisher, dass es der Grabstein meiner Mutter ist. Übrigens, die einzigen Stücke die noch übrig sind. 

Jetzt ist meine Schwester auch bald ein Jahr tot. 

Sie hat mich alleine gelassen. 

Sie sagte: "Ich lasse Dich nicht alleine, ich lasse Dir das wichtigste da, Nele. Ihr habt dann noch euch."

Wenn Nele gehen muss, ist das wie ein 2. mal meine Schwester gehen lassen.

Sie fehlt mir regelmäßig.

Wir hatten ein schwieriges Verhältnis, weil sie ein schwieriger Mensch war, aber doch hatten wir unseren Weg miteinander.

Wir konnten nicht über alles reden, aber über alles miteinander lachen. Das war unsere Art. Miteinander lachen. Wenn reden nicht geht, lachen geht immer.

Mein Vater hat sich noch viel um sie gekümmert, er hat in seinem Alter nicht mehr viel gehabt, also habe ich mir Sorgen gemacht, als sie ihre Köfferchen gepackt hatte und war froh, als er mich nun öfter anrief, auch wenn die zwei stündigen Telefonate, die meistens aus sich immer wiederholenden Gesprächsteilen bestanden, anstrengend und mühsam waren. Vorher hatten wir wenig Kontakt und er fragte bei meiner Schwester nach. Sie war mein Puffer und erzählte über mich und hatte diese Telefonate mit ihm, nun war ich eben dran und das war in Ordnung, dachte ich mir.

Es kamen die letzten Wochen keine mehr.

Also schrieb ich eine SMS, dann ruft er eigentlich zurück. Ich fragte, ob es ihm gut geht.

Nein.

Ein einziges Wort, was meine kleine Welt zum Einsturz bringen kann.

Also fragte ich nach, was denn sei.

Meine jüngste Tochter ist mein Nesthäkchen, mein Rockzüpfelhängerle, egal ob sie nun fast 18 ist, oder wie alt auch immer, ich denke so sieht mein Vater es mit mir.

Ein Anruf, ich war eigentlich froh. Selbst wenn ich sage, dass ich gerade keine Zeit habe und er hört, dass ich mitten beim Einkaufen bin, Lärm hört und weiß, dass es unpassend ist, fasst er sich kurz und es werden 30 Minuten.

Diesmal waren es 19 Sekunden.

Es geht ihm nicht gut, er wisse noch nicht genug, er meldet sich, wenn er mehr weiß.

Das total hektisch vorgetragen. Auf meine Frage, was denn los sei, kam nur, dass er darüber noch nicht reden möchte, erst wenn es sich bestätigt hat. Dann legte er auf.

Und mein großes Wort im Kopf ist nun natürlich: Krebs.

Es ist immer Krebs.


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